Torsten Mattuschek, du bist der beste Mann!

December 2024 · 3 minute read

Meine Dau­er­karte bei Union Berlin hat mich vor allem zwei Dinge gelehrt: Eine Ide­al­vor­stel­lung von Fan­kultur und, dass HSV-Fans leicht zu beein­dru­cken sind. Wie fuß­ball­folk­lo­ris­tisch all­seits geläufig haben die Union-Fans ihrem klammen Verein mit wasch­echter Hand­ar­beit dabei geholfen, das Sta­dion zu bauen. Der Lohn für die Man­power der Unioner waren Bau­helme in den Ver­eins­farben, zahl­reiche Fotos und ein wun­der­bares reines Fuß­ball­sta­dion mit einer laut­starken Steh­ge­raden, wie es sie im deut­schen Fuß­ball nur noch selten gibt.

Jedesmal, wenn mich ein HSV-Fan in die Alte Förs­terei beglei­tete, bekam dieser tel­ler­große Augen. Mein kleiner Bruder, sonst nur die grim­migen Pfiffe des han­sea­tisch-skep­ti­schen Publi­kums gewohnt, war zum Bei­spiel sehr erstaunt, dass die Fans von Union Berlin trotz eines 0:4‑Rückstandes in einem Heim­spiel gegen Greu­ther Fürth guter Dinge waren. Die Gegen­ge­rade sang ein­stimmig und laut­hals zu der Melodie von Guan­tan­amera“: Ganz enge Kiste! Das war ne ganz enge Kiste!“ Es machte nichts, dass mein Bruder ran­zige Pisse“ ver­stand und das Lied dem­entspre­chend mit­sang.

Torsten Mat­tu­schek, du kannst, was keiner kann!“

Mein kleiner Bruder, in seiner ganzen Euphorie gepackt, ver­suchte auch in Zukunft jeden Fan-Gesang mit­zu­singen. Dass das man­gels Text­si­cher­heit auch nach hinten los­gehen kann, sollte jedem klar sein. Das schreckte meinen auf einer Welle von Endor­phinen und Alkohol schwim­menden Bruder jedoch nicht davon ab, seine gesang­li­chen Fähig­keiten bei jeder sich bie­tenden Gele­gen­heit auf die Probe zu stellen.

Nehmen wir zum Bei­spiel eine viel­ver­spre­chende Frei­stoß­po­si­tion an der Alten Förs­terei. Diese bedeutet für gewöhn­lich, dass Unions fuß­bal­le­risch begna­deter Kapitän und Ver­eins-Ikone Torsten Mat­tuschka den Frei­stoß in Rich­tung Tor treten wird. Sowohl seine Schuss­technik als auch seine Quote lassen sich durchaus sehen, die Fans gou­tierten seine Fähig­keiten längst mit einem eigens auf Mat­tuschka zuge­schnit­tenen Fan-Gesang zu der Melodie von I love you, Babe!“ von Frank Sinatra: Torsten Mat­tuschka, du bist der beste Mann! Torsten Mat­tuschka, du kannst, was keiner kann! Torsten Mat­tuschka, hau‘ ihn rein für den Vereeeeeeeein!“

Nach einigen Frei­stößen dachte mein Bruder, er hätte das Pro­ze­dere ver­standen. Als in einem Spiel der Schieds­richter auf Frei­stoß aus aus­sichts­rei­cher Posi­tion ent­schied, wollte er mit gutem Bei­spiel vor­an­gehen und stimmte aus voller Kehle an: Torsten Mat­tu­schek, du bist der beste Mann! Thorsten Mat­tu­schek, du kannst…“ Das Gelächter rund­herum ließ meinen Bruder inne halten. Mat­tuschka heißt der Mann“, klärten ihn die umste­henden Fans auf, stimmten aber trotzdem lachend ein: Torsten Mat­tu­schek, hau ihn rein für den Vereeeeeeeein!“

Rot-weißer Walzer

Beim letzten Heim­spiel vor dieser Win­ter­pause stand ich wieder mit einem HSV-Fan auf der Gegen­ge­rade. Aller­dings war dies nicht sein erster Besuch bei Union Berlin. Vor dem Spiel gegen den 1. FC Kai­sers­lau­tern schwärmte er von der alten Förs­terei vor dem Umbau. Er möge lieber unüber­dachte Stehr­änge, wie damals beim HSV. Mit roman­ti­schen Gefühlen erin­nerte er sich an seine Dau­er­kar­ten­zeiten im Volks­park.

Als Union in der zweiten Halb­zeit mit 2:0 führte, das ganze Sta­dion sich schun­kelnd in den Armen lag und FC Union Walzer tanzen wir!“ anstimmte, war es auch um ihn geschehen: Das habe ich ja seit 20 Jahren nicht mehr gehört – zuletzt in der West­kurve vom Volks­park! Damals hieß es nur ›Den schwarz-weiß-blauen Walzer tanzen wir!‹“, stieß er ver­blüfft und mit leuch­tenden Augen hervor.

Man sah seine durch die win­ter­liche Steh­tri­büne bedingte Fuß­kälte inner­li­cher Wärme wei­chen. Das Spiel war das letzte vor der Win­ter­pause, fast alle Heim­spiele der Hin­runde waren aus­ver­kauft gewesen. Nach Abpfiff ließ ich die Hin­runde bei einen Glüh­wein noch einmal Revue pas­sieren und tanzte in der Alten Förs­terei die letzten Wal­zer­schritte des Jahres. Die kalte und klare Dezem­ber­luft, der wür­zige Glüh­wein und die zum rot-weißen Walzer schun­kelnden Unioner ver­ab­schie­deten mich in die Win­ter­pause: Weih­nachten konnte kommen.

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