
Es sind drei Bilder, die alles über den Fußballer Filippo Inzaghi sagen. Auf Bild Nummer eins lauert er an der Abseitsgrenze der gegnerischen Abwehr. Mit theatralischen Handbewegungen fordert er den Ball, jeden Ball, trippelnd, hopsend wie ein junger Gaul, die Arme in der Luft, das Gesicht zerrissen vom Schmerz. Es ist ein Schmerz, den nur einer wie er spürt. Der Schmerz des Übersehenen. Er verbrennt ihn von innen. Also rennt er los. Einfach so. Ein Pfiff. Er steht im Abseits.
Sein verständnisloser Blick wird von irgendeiner Kamera in Zeitlupe eingefangen. „Porca miseria“, winseln seine Augen. Verdammt. So oft wie kein anderer Spieler in der Serie A zuvor wurde Inzaghi aus dem Abseits zurückgepfiffen. Er sei „im Abseits geboren“, kommentierte einst Alex Ferguson das Schaffen des Milan-Angreifers Inzaghi. Gegenbeweise sucht man bis heute.
Die Fleisch gewordene Gefahr
Auf Bild Nummer zwei dreht Pippo ab, den Mund weit aufgerissen, die pechschwarzen Haare flattern im Wind, die Arme ausgebreitet, als wolle er die Welt umarmen. Oder die Welt ihn. Er wird getragen von den Schreien der Mitspieler, dem Jauchzen der Fans, dem Adrenalin in seinen Adern. Das ist der Inzaghi, den die Tifosi so sehr liebten. So, wie nur sie einen Spieler lieben können. Ihren Megatorjäger. Superpippo. Das Schlitzohr schlechthin. Dem kein Tor zu hässlich, kein Stocherer zu unnötig, kein Abstauber zu simpel war. Er war die Fleisch gewordene Gefahr.
Tauchte Minuten vor Schluss die Nummer 9 auf der Wechseltafel auf, verfielen Europas Abwehrreihen in Schockstarre. Sie ahnten, dass dem Mann aus Piancenza scheinbar Nanosekunden genügen, um aus einem kantigen Schlachtross einen Deppen zu machen. Inzaghi hatte das Patent auf Scheißtore. 57 Mal traf er für Juve, 73 Mal für Milan, 26 Mal für die Squadra Azzurra. Nur wenige seiner Tore waren wirklich schön. Viele hingegen unfassbar wichtig. Was ist am Ende mehr wert?
Ein Mahnmal für den Weltfußball
Das dritte Bild könnte als Denkmal vor jedem Fußballstadion außerhalb Mailands stehen. Als Mahnmal. Es zeigt Inzaghi in seiner Paraderolle – als Diver. Inzaghi, so schien es, fiel einfach immer. Der schlechte Atem eines Kilometer entfernt stehenden Fans hätte ausgereicht, um den schmalen Italiener die Kraft aus den Gliedern zu pusten. Hamburg, Turin, Manchester, Glasgow – auf den Fußballplätzen Europas sammelte Inzaghi so viele Vielfliegermeilen, dass selbst Silvio Berlusconi vor Neid erblasste. Dass er fiel, war schlimm genug, doch wie er fiel, machte die Massen rasend. Er fiel im Laufen, im Stehen, im Gehen, er fiel in den Matsch, auf staubtrockene Erde, er stolperte, taumelte, brach zusammen, über Beine, über Arme, über das Nichts. Ja, manchmal, so schien es zumindest, fiel er sogar, wenn er schon im Fallen war. Diese Eigenschaft brannte ihn wie keinen Zweiten in die Synapsen der Fans. Inzaghi musste man hassen. Oder lieben. Es kam nur auf den Blickwinkel an.
Einer der größten Spieler unserer Zeit
Und auch wenn Hollands Fußballheiliger Johan Cruyff einmal über Inzaghi unkte, dass der eigentlich gar nicht Fußballspielen könne, hat es Inzaghi weit gebracht: Er holte drei Mal den Scudetto, zwei Mal die Champions League, wurde Weltmeister und Vize-Europameister. Im letzten seiner 623 Spiele hat er noch einmal das Siegtor geschossen. Am 13. Mai 2012 kam er in der 67. Minute gegen Novara Calcio ins Spiel. Er traf in der 82. Minute per Volleyschuss. 2:1. Das Stadion explodierte. Es war Pippos Art „Ciao“ zu sagen.
Filippo Inzaghi war einer der größten Spieler seiner Zeit. Es fällt einem nicht leicht, das einzugestehen. Es tut sogar ein bisschen weh. Im Juli 2012 hat er endgültig seine Karriere beendet. Uns bleibt deswegen nur zu sagen: Pippo, Du hast Dir den Feierabend verdient. Wir haben dich bisher nicht vermisst. Höchstens ein bisschen! Wie auch immer: Alles Gute zum 50. Geburtstag!
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